Raphael Weilguni / Harm van den Dorpel: Screens and Skin
Zum ersten Mal präsentiert Galerie Rüdiger Schöttle eine Ausstellung, in der die digitale Kunst in einen Dialog mit Keramikskulpturen tritt. Die NFTs von Harm van den Dorpel stehen den fragilen Skulpturen von Raphael Weilguni gegenüber: erzielen eine Konfrontation des Lebendigen und Erstarrten, eine Synthese des Physischen, Greifbaren und des Abstrakten, Zweidimensionalen. Den Betrachter*innen bleibt es überlassen, welche Kunstwerke als physisch-lebendig und welche als eingefroren-digital bezeichnet werden dürfen.
„Markov’s Dream“ ist die neue Serie des Künstlers Harm van den Dorpel, welche aus 32 generativen Animationen besteht. Die Arbeiten weisen auf eine Erfindung des Mathematikers Andrei Markov (1856–1922) hin, die wesentliche Beiträge zur Wahrscheinlichkeitsrechnung und stochastischen Analysis leistete. Um eine Zukunftsprognose zu berechnen, zog er ausschließlich die aktuelle Situation in Betracht und ignorierte Ereignisse aus der Vergangenheit. Harms generative Kunst wird von Zufallszahlen bestimmt: Die Farbgebung sowie die Unterteilung der Animation auf dem Bildschirm wiederholen sich nicht, sondern rufen immer wieder neue, unvorhersehbare Kompositionen hervor. Das abgerundete Quadrat ist ein wiederkehrendes visuelles Element im ästhetischen Vokabular des Künstlers. Es bezieht sich auf spezifische Elemente des Interfacedesigns, mit der die Betrachter*innen im Alltag konfrontiert sind. Diese Designkomponenten werden im Rahmen eines nach Optimierung strebenden User Experience Designs häufig verwendet, um Software eine „menschlichere“ oder organischere Note zu verleihen. Harm geht noch einen Schritt weiter und lässt das abgerundete Quadrat wie eine lebendige, atmende Zelle erscheinen. Somit verschwindet die Grenze zwischen determiniertem Programmieren und einem autonomen, „lebendigen“ Organismus. Poetisch gesehen, belebt der Künstler das, was eingefroren war.
Als Gegengewicht dazu lässt Raphael Weilguni seine Keramikskulpturen bis zu einem bestimmten Moment scheinbar unkontrolliert entfalten, um sie am Höhepunkt ihrer Autonomie erstarren zu lassen. Die Arbeiten werden in einem speziellen „Raku“ Verfahren gebrannt: eine japanische Technik, die erstmals um das Jahr 1580 verwendet wurde. Ein Tonobjekt wird auf dem Höhepunkt des Brennvorgangs aus dem Ofen entnommen und sehr schnell abgekühlt, bis es in seinen Endzustand tritt. Die abstrakten und wilden Skulpturen wirken in der fließenden Bewegung plötzlich erstarrt und es obliegt einem jeden Betrachtenden zu erahnen, in welche Richtung sich die Bewegung hätte fortsetzen können. Der Brennverlauf lässt sich beim „Raku“ nur bedingt steuern, sodass jedes Stück ein unnachahmliches Unikat ist.
(Text: Sofia Sominsky)